Regensburger Erklärung zur Landtags- und Bezirkswahl
null Regensburger Erklärung zur Landtags- und Bezirkswahl
Bei ihrem Jahrestreffen vom 20. bis 22. Juli 2023 in Regensburg tauschten sich die kommunalen Behindertenbeauftragten aus ganz Bayern mit Holger Kiesel, dem Beauftragten der Bayerischen Staatsregierung für die Belange von Menschen mit Behinderung, aus. Dieses Mal standen zwei zentrale Themen im Fokus: Am 8. Oktober finden die bayerischen Landtags- und Bezirkswahlen 2023 statt.
Holger Kiesel betont „Der Landtag und die bayerischen Bezirke haben viel Einfluss auf die Lebensbedingungen für Menschen mit Behinderung und ihre Angehörigen in Bayern. Es ist mir deshalb wichtig, dass Inklusion und Barrierefreiheit gleich von Beginn einer Legislaturperiode an überall mitgedacht werden. Wir greifen mit unserer Erklärung die drängendsten Punkte auf, bei denen besonders schnell und entschlossen gehandelt werden muss.“
Zum anderen haben sich Holger Kiesel und die kommunalen Behindertenbeauftragten mit Themen rund um Kinder und Jugendliche beschäftigt. „Die SGB VIII Reform, also der Übergang von Zuständigkeiten von der Eingliederungshilfe – sprich den Bezirken als Kostenträger - zu den Jugendämtern ist ein grundlegender Paradigmenwechsel für Bayern und ganz Deutschland, der konsequent und zügig umgesetzt werden muss. Alle Beteiligten müssen hier an einem Strang ziehen“, so Holger Kiesel.
Regensburger Erklärung zur Landtags- und Bezirkswahl 2023
Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. (Art. 3 III Satz 2 GG)
Die Beauftragten auf kommunalen Ebenen für die Belange von Menschen mit Behinderung und der Beauftragte der Bayerischen Staatsregierung für die Belange von Menschen mit Behinderung fordern anlässlich der Landtags- und Bezirkswahl am 8. Oktober 2023 die Politik auf, die Belange von Menschen mit Behinderungen nach Maßgabe der UN-Behindertenrechtskonvention in allen Politikfeldern umfassend und unverzüglich zu berücksichtigen.
I. Das Bayerische Behindertengleichstellungsgesetz (BayBGG) und die staatlichen Rahmenbedingungen konsequent weiterentwickeln
1. Das BayBGG ist umfassend zu novellieren. Zentral ist die Errichtung einer Schlichtungsstelle, die in Konflikten, in denen es um Barrierefreiheit und Benachteiligung geht, vermitteln soll. Zudem sind für die kommunalen Beauftragten personelle, finanzielle und strukturelle Mindeststandards in Absprache mit den Beauftragten festzulegen.
2. In Bayern bzw. in allen sieben Bezirken muss eine konsequente Umsetzung der geltenden Gesetze und Bestimmungen (u.a. UN-BRK, BTHG) gewährleistet sein. Das Maß an Teilhabe darf nicht vom Wohnort abhängig sein.
3. Alle Entscheidungsträger müssen sofortige Maßnahmen zur Bekämpfung des akuten Fachkräfte- und Personalmangels in der Arbeit mit Menschen mit Behinderung einleiten und miteinander abstimmen. Das betrifft insbesondere attraktivere Arbeitsbedingungen, erleichterte Einstiegsmöglichkeiten sowie eine schnellere Anerkennung bestehender Qualifikationen. II. Umfassende Barrierefreiheit in allen Sektoren gewährleisten
4. Das Programm „Bayern barrierefrei“ ist zu stärken und muss auch nach 2023 weiter mit ehrgeizigen und zugleich praxisorientierten Zielen und Maßnahmen in ALLEN Lebensbereichen und für ALLE Behinderungsarten entschlossen ausgebaut werden. Es müssen wieder mehr wirksame Beschlüsse im Kabinettsausschuss gefasst werden.
5. Die Bauordnung soll durch stärkere verpflichtende Vorgaben auf barrierefreies Bauen ausgerichtet werden. Dazu ist auch ein verpflichtender Nachweis der Barrierefreiheit (analog zum Brandschutz, u.a. Prüfung durch externe Sachverständige) einzuführen. Weitreichende Verpflichtungen sind zudem auch für den Umbau von Bestandsbauten vorzusehen.
6. Bayernweit ist ein Netz von barrierefreien ÖPNV- und on-demand-Strukturen zu schaffen. Die Bayerischen Beauftragten für die Belange von Menschen mit Behinderung fordern Land, Bund, Städte und Landkreise auf, gemeinsam einen ÖPNV aus einem Guss umzusetzen.
7. Die Empfehlungen und Forderungen aus dem Projekt „Inklusives Wohnen in Bayern stärken“ sind umzusetzen. Dazu gehört u.a. die Schaffung einer Koordinations- und Anlaufstelle für Wohnprojekte sowie ein praktikables Pflege-Wohn- und Qualitätsgesetz.
8. Alle Träger öffentlicher Gewalt stellen sicher, dass sie sich in allen Prozessen einfach und verständlich ausdrücken und dafür barrierefreie Formate verwenden. Die Kommunen sollten dabei durch ein landesweites Serviceportal unterstützt werden. Die entsprechenden Normen im BayBGG sind zu schärfen.
9. Die Barrierefreiheit muss unabdingbare Voraussetzung für alle digitalen Angebote öffentlicher Stellen sowie für alle Vergaben im öffentlichen Sektor werden. III. Gleichberechtigtes Aufwachsen für Kinder und Jugendliche mit Behinderung ermöglichen
10. Die Umsetzung des Kinder- und Jugendstärkungsgesetzes muss in Bayern entschlossen vorangetrieben werden. Die Wünsche und Bedürfnisse junger Menschen müssen dabei oberste Priorität haben. Darüber hinaus müssen alle Maßnahmen konsequent an der Zielsetzung der gleichberechtigten Teilhabe und Selbstbestimmung junger Menschen ausgerichtet und wohnortnah im Sozialraum verankert werden.
11. Der gesetzliche Anspruch auf Freizeitassistenz für Kinder und Jugendliche sowie Erwachsene mit Behinderung muss anerkannt werden. Zudem müssen Assistenzleistungen für Eltern mit Behinderung bedarfsgerecht ausgebaut werden.
12. Die inklusive Erziehung und Bildung in der Kindertagesbetreuung und Schulen muss weiterentwickelt, ausgebaut und gefördert werden. Entscheidend ist, dass die finanzielle Ausstattung und der Personalschlüssel dem Anspruch an ein inklusives Angebot gerecht werden. Insbesondere die Ausstattung mit Fachkräften und multiprofessionellen Teams muss deutlich verbessert werden.
13. Die Inklusiven Modellregionen müssen sich weiter vernetzen und sollen gestärkt und flächendeckend ausgebaut werden. Um überall eine wohnortnahe inklusive Beschulung zu gewährleisten, sind entsprechende bauliche, personelle und infrastrukturelle Voraussetzungen zu schaffen. IV. Gleichberechtigte Teilhabemöglichkeiten im Bereich Arbeit und Beschäftigung
14. Die Staatsregierung und die Bezirke müssen dazu beitragen, dass deutlich mehr Menschen mit Behinderung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unterkommen können. Bei der Gewinnung von Fachkräften und Personal insgesamt müssen die Potenziale von Menschen mit Behinderung konsequenter berücksichtigt werden. Gleichzeitig müssen bestehende Barrieren auf dem Arbeitsmarkt entschlossener abgebaut und Übergänge (z.B. Schule – Arbeitsmarkt oder Ausbildung – Arbeitsmarkt) flexibler gestaltet werden.
15. Die Staatsregierung und die Bezirke müssen unter Einbeziehung der bayerischen Unternehmenslandschaft dazu beitragen, dass die Quote der Übergänge aus den Werkstätten für behinderte Menschen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt deutlich erhöht wird. Das Budget für Arbeit und der „Begleitete Übergang Werkstatt – allgemeiner Arbeitsmarkt“ (BüWa) müssen differenzierter und flexibler ausgestaltet werden, um besser angenommen zu werden.
16. Die Staatsregierung muss dafür sorgen, dass Nachteilsausgleiche für Studierende mit Behinderung an den Universitäten und Hochschulen in einheitlichen und praktikablen Standards gewährt werden.
17. Angebote der Erwachsenenbildung müssen umfassend barrierefrei gestaltet werden. V. Gleichberechtigte Gesundheit & Pflege sowie soziale Teilhabe.
18. Menschen mit Behinderung müssen gleichberechtigten Zugang und gleichberechtigte Nutzbarkeit zu allen Leistungen des Gesundheitswesens haben. Dazu müssen Versorgungslücken geschlossen und bestehende Informations-, Kommunikations- sowie bauliche Barrieren konsequent und vollumfänglich abgebaut werden. Das gilt gerade auch für Menschen mit einer geistigen und/ oder schweren mehrfachen Behinderung.
19. Entlastungsangebote für pflegende Angehörige sind auch für Menschen mit Behinderung bedarfsgerecht vorzuhalten und auszubauen.
20. Die Psychiatriereform ist so weiterzuentwickeln, dass eine wohnortnahe, zeitnahe und barrierefreie psychiatrische Versorgung sichergestellt und die gemeindepsychiatrischen Verbünde gestärkt werden. Hierbei sind die besonderen Belange von Menschen mit einer sog. Doppeldiagnose (z.B. Sucht oder kognitive Beeinträchtigung plus psychische Beeinträchtigung) und die Belange von Kindern psychisch kranker Eltern zu berücksichtigen. Ein besonderes Augenmerk muss zudem auf Angebote für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche gelegt werden.
21. Die konkreten Maßnahmen aus der Autismus-Strategie sind unter der ständigen Mitwirkung der Betroffenen und Angehörigen zeitnah und zügig umzusetzen.
22. Die Beauftragten für die Belange von Menschen mit Behinderung fordern die umgehende Bereitstellung von Haushaltsmitteln für ein bayerisches Gehörlosengeld. Bei allen vorgenannten Punkten sind die Behindertenbeauftragten von Land, Bezirken und Kommunen umfassend und frühzeitig miteinzubinden.
Mit dieser Erklärung appellieren die Beauftragten für die Belange von Menschen mit Behinderung von Land, Bezirken und Kommunen eindringlich an alle Verantwortlichen in der Staatsregierung und in den Bezirken und auf allen weiteren politischen Ebenen, ihr politisches Handeln in der kommenden Legislaturperiode an der UN-Behindertenrechtskonvention und dem Bundesteilhabegesetz auszurichten und so für mehr gesellschaftlichen Zusammenhalt zu sorgen.