null Meditativer Impuls September 2022

Vom Bleiben und der Freude

Vielerorts hat die Weinlese schon begonnen. Wegen des heißen Sommers sind die Trauben kleiner als sonst und die Ernte ist geringer. Es gibt Grund, dem biblischen Bild vom Weinstock und den Reben auf den Grund zu gehen.

Wie die Reben vom Weinstock her Nahrung und Wachstum erhalten, sind wir eingeladen, mit Christus, dem Geber allen Lebens, verbunden zu bleiben. (Foto: Georg Deisenrieder)

Manchen klingt es vertraut oder sogar etwas romantisch-verklärt; schließlich hören es doch schon oft die Kinder im Grundschulalter, etwa in Verbindung mit der Vorbereitung auf die Erstkommunion. Für uns in der sozial-caritativen Arbeit kann dieses Bild zu Beginn dieses Schuljahres wertvolle Impulse geben, wie wir uns nach den Ferien neu aufmachen und Früchte bringen können. Zunächst ein paar ausgewählte Worte Jesu aus dem Johannesevangelium:


Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben.
Wer in mir bleibt und in wem ich bleibe, der bringt reiche Frucht;
denn getrennt von mir könnt ihr nichts vollbringen…
Bleibt in meiner Liebe!
Dies habe ich euch gesagt, damit meine Freude in euch ist und damit eure Freude vollkommen wird...
Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt und dazu bestimmt, dass ihr euch aufmacht und Frucht bringt und dass eure Frucht bleibt.
(aus Joh 15,1-16)

Allein in diesen paar Versen taucht vier Mal das Wort vom „Bleiben“ auf: Wie die Reben vom Weinstock her Nahrung und Wachstum erhalten, sind wir eingeladen, mit Christus, dem Geber allen Lebens, verbunden zu bleiben. Denn getrennt von ihm können wir nichts vollbringen. „Bleibt in meiner Liebe“ kann für uns heißen: sich festmachen am Stamm, festhalten, auch dann, wenn alles zum Davonlaufen ist. Solches Bleiben hat nichts mit Abhängigkeit zu tun. Bleiben kann nur, wer auch die Freiheit hat zu gehen.
Wie gut und heilsam ist dieses Bleiben, wenn in dieser schnelllebigen Zeit so vieles wegbricht, abbricht, umbricht. Eine Persönlichkeit kommt aber kommt dann zum Wachsen, zum Entfalten und Reifen, wenn sie auch mit ihren spirituellen Wurzeln in Verbindung bleibt. Gerade Kinder und junge Menschen, die schon einige Lebensbrüche hinter sich haben, brauchen Begleiterinnen und Begleiter, die festen Boden unter den Füßen spüren. Die in der Pädagogik so wertgeschätzte „Haltequalität“, Rückschläge und begrenzte Möglichkeiten auszuhalten, kann nur schaffen, wer sich selbst gehalten weiß und getragen glauben darf.
Das Bild vom Weinstock und seinen Reben weist auf die große Freude hin: „Dies habe ich euch gesagt, damit meine Freude in euch ist und damit eure Freude vollkommen wird“. Das Festhalten und das „Bleiben in seiner Liebe“ ermöglicht das, was uns im Grau des beruflichen und persönlichen Alltags so gut tut und das Leben so reich macht: Freude pur! Sie lässt aufatmen, nimmt die Last von den Schultern und schenkt tanzende Leichtigkeit.
Zuerst sagt uns Jesus die Liebe und die vollkommene Freude zu, dann erst folgt die Ermutigung zum Aufbruch und Handeln: „Ich habe euch erwählt und dazu bestimmt, dass ihr euch aufmacht und Frucht bringt“. Manche werden vielleicht auch zweifeln und sich fragen, was wohl von der Arbeit und dem sozialen Engagement in Zukunft Bestand haben werde. Auch an Nachhaltigkeit hat Jesus gedacht, wenn er seine Worte ergänzt „…und dass eure Frucht bleibt!“

Georg Deisenrieder