null Meditativer Impuls November 2023

Am 11. November feiern wir das Fest des Heiligen Martin. Bald lockt es wieder viele Kinder und Familien auf die Straße, um miteinander zu singen und mit leuchtenden Laternen die Nacht zu erhellen. In manchen unserer Einrichtungen kommt sogar ein als römischer Soldat gekleideter Mann auf einem großen Pferd angeritten, um seinen großen Umhang mit einem frierenden „Bettler“ zu teilen. Ein schönes, beeindruckendes Schauspiel für Kinder. Doch was hat der beliebte Mantelteiler und Lichtbringer Martin von Tours uns Erwachsenen zu sagen?

Ruth Weidlich (1925-2012), Martinsbrunnen in Bernried (Foto: Georg Deisenrieder)

Generationenkonflikt: Martin (geb. um 316, gest. 397) war Sohn eines Militärtribuns. Der Name Martin geht zurück auf den Kriegsgott Mars. Eine Offizierskarriere sollte vorgezeichnet ihm sein. Doch es kam anders. Gegen den Willen des Vaters sympathisierte er bereits im Jugendalter mit dem Christentum. Und heute? Wie viele Kinder und junge Menschen begleiten wir, die durchaus offen wären für eine biblisch-christliche Lebensorientierung, die ihnen aber durch die Elterngeneration verdunkelt wird?

Glaube darf wachsen: Martin war noch kein Christ, als er spontan sein Herz sprechen ließ und mit dem Bettler am Stadttor von Amiens seinen Soldatenmantel teilte. Im Nächsten erkannte Martin dann im Traum Christus selbst. Diese Begegnung wurde für ihn zum Anlass, sich zum christlichen Glauben zu bekennen und sich im Alter von etwa 35 Jahren taufen zu lassen. Heutzutage kommt es immer häufiger vor, dass wir neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in unseren kirchlich-caritativen Häusern anstellen, die keine Christinnen und Christen sind, aber wie der junge Martin in Haltung und Gesinnung unsere Werte vertreten. Welche einladenden, interreligiösen und pastoralen Wege bieten wir an, damit unsere neuen Kolleginnen und Kollegen in unseren Häusern und Diensten eine Lichtspur Gottes erkennen können? Wie kann im Alltag unter uns der Glaube wachsen, dass Gott selbst Caritas – Liebe – ist?

Handeln aus der Stille: Das Leben als Einsiedler war Martin nicht vergönnt. Zu schnell schlossen sich ihm Menschen an, sodass er 361 in Ligugé das erste Kloster des Abendlandes und später auch noch das Kloster Marmoutier bei Tours – beides besondere Orte des Gebetes und der Stille – gründete. In der gegenwärtigen Zeit ist Stille beinahe zu einem Fremdwort geworden. Wie können wir in unseren Einrichtungen Orte und Zeiten der Stille als Voraussetzung für gutes Hören und Zuhören, für sensibles und spirituelles Wahrnehmen, für qualitatives Denken, Reflektieren, Handeln schaffen?

Vertrauensvolles Führen: Die Legende von Martin und den schnatternden Gänsen, die ihn verrieten, als er sich im Stall versteckte, ist sehr beliebt. Die Menschen wollten ihr Vorbild zum Bischof ernennen. Dies verrät viel über eine Haltung, die eine echte Führungspersönlichkeit ausmacht: Respekt vor den Menschen und der Aufgabe. Führen und Begleiten müssen wir in der caritativen Arbeit alle, in der Kindergruppe bis zur Arbeit mit Senioren, von der angelernten Hilfskraft bis zum Direktor. Leitest Du noch oder führst Du schon? Diese Frage stellte sich bei Martin nicht: Er war nicht „leitender Funktionär“, sondern hatte das Vertrauen der Menschen. Sie waren es, die ihn baten, Verantwortung zu übernehmen. Bis auf den heutigen Tag sind die Wege manchmal sehr krumm, bis man seine eigene Berufung gefunden und sich ihr mutig gestellt hat. Das kann auch bedeuten, zugetraute Führung anzunehmen.

Der Mantel in der Kapelle: Der Begriff Kapelle geht zurück auf den Mantel (lat. cappa) des Heiligen Martin, der in diesem besonderen Raum aufbewahrt wurde. Die Kapelle wurde somit zu einem Ort, der wie ein Mantel Schutz gibt und an das Teilen mit anderen Menschen erinnert. Auch wenn wir heutzutage in unserem sozialen Tun und Handeln nicht mehr Mäntel teilen, so teilen wir in unserem Alltag anders, aber immer uns selbst mit: in einem Lächeln, mit unserem Wissen, einem gemeinsamen Essen, durch inklusives Schaffen von Bildungs- und Entwicklungsmöglichkeiten, durch unseren Einsatz für Gerechtigkeit und vieles mehr. Wie wäre es, ließen wir wie der geteilte Mantel Martins in der Kapelle seinen Platz fand, ebenfalls in unseren Hauskapellen, Meditationsräumen, spirituellen Orten, an unseren Erinnerungstischen anhand von Bildern und Symbolen unser geteiltes Leben voreinander und vor Gott einen Platz finden?

Georg Deisenrieder