„Ich weiß jetzt, was ich nicht will.“
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Kevin Blay und Armin Preiss bereiten sich auf Jobs außerhalb der KJF Werkstätten vor. Im zweiten Teil der Reihe berichten sie über ihre Erfahrungen in diesem Jahr.
Die Porträts von Kevin Blay und Armin Preiss sind Teil eines Langzeitprojekts der Katholischen Jugendfürsorge (KJF) in der Diözese Regensburg. Die beiden jungen Männer aus Mitterteich und Mitterfels wollen an Arbeitsstellen außerhalb der KJF Werkstätten Fuß fassen. In unregelmäßigen Abständen werden ihre Erfolge, aber auch mögliche Rückschläge dokumentiert.
Eine lange Fensterfront erhellt die Montagehalle. Selbst bei trübem Wetter ist es taghell und das Drinnen verschmilzt mit dem Draußen. Armin Preiss beugt sich an seinem letzten Praktikumstag über einen wandgroßen Fensterrahmen aus Metall und schraubt Befestigungen in eine Nut. Metallbauer Wolfgang Schmidt schaut ihm über die Schulter. Jeder Handgriff sitzt. Armin hat viel gelernt in dieser Woche bei der Firma Wintergarten Gruber in Ascha. Zum Beispiel, dass sich sein Einsatz lohnt, dass er den Anforderungen gewachsen ist und die Kollegen ihn schätzen. Vielleicht hätte er hier eine Chance. Der Betrieb stellt Fensterelemente und Bauten her, in denen man gar nicht merkt, dass man sich in einem geschlossenen Raum befindet. Doch Armin vergisst das nicht.
Mit Mut durch die Prüfung
Gut 150 Kilometer entfernt streift Kevin Blay mit den Händen über seine Knie, dann rückt er die Brille zurecht. Er ist nervös. Die Prüfung zum Zertifikatslehrgang „Assistent in der Kindertagesstätte“ ist kein Zuckerschlecken. Die Ausbildung ist von der IHK anerkannt. Kevin muss jetzt abrufen, was er ein Jahr lang einmal pro Woche in der Theorie gelernt hat – über den Umgang mit Kindern, über Beschäftigungsformen, aber auch über Hygiene und Mülltrennung. Insgesamt sind es elf Themenbereiche, zu denen ihm Inklusionsberaterin Melanie Bartos Fragen stellt. Kevin schluckt die Aufregung hinunter und gibt sein Bestes. Den praktischen Teil der Prüfung geht er ruhiger an. Er gestaltet für zwei Kinder ein Angebot. Sie bauen unter seiner Anleitung ein Windspiel aus Pappe: schneiden, kleben, bemalen, zusammenfügen. Ein fragiles Ding, das auch ein bisschen für den Versuch steht, als behinderter Mensch im Arbeitsleben Fuß zu fassen.
Kevin arbeitet vormittags weiterhin im Kindergarten „Die Mitterteicher Hankerler“ und nachmittags in der KJF-Werkstätte, wo er an der CNC-Fräse Ersatzteile für einen Betrieb aus der Region herstellt. Mit einem Bein steht er also bereits im Arbeitsleben außerhalb der KJF-Werkstätte.
Armin hat inzwischen 16 Lerneinheiten hinter sich, mit denen er sich in diesem Jahr auf eine Außenarbeitsplatz vorbereitete – sowohl in der Theorie als auch in der Praxis bei Exkursionen und einem Praktikum. Der Kurs endete Anfang November. Nach wie vor arbeitet er im Hausmeistertrupp der KJF-Werkstätte Mitterfels. Er verlegt Parkett, repariert Büromöbel, kümmert sich um die Außenanlagen – was halt so anfällt. Im Moment ist er dabei, den Garten winterfest zu machen. Er ist viel draußen in der Natur. Die Funktionsarbeitskleidung und die Baseballkappe sind seine zweite Haut. Einen Außenarbeitsplatz hat er nicht gefunden. Trotzdem ist er nicht enttäuscht.
Draußen statt drinnen
Gemeinsam mit seinem Betreuer Tobias Fiedler lässt er den Lehrgang noch einmal Revue passieren. „Ich fühle mich jetzt fitter und reifer“, sagt er. Das positive Feedback, das er bei Wintergarten Gruber bekommen hat, gibt ihm Selbstvertrauen. „Ich habe sehr viele neue Leute kennengelernt. Ich spüre, dass ich es schaffen kann.“ Aber ihm ist klar geworden, was für ihn nicht funktioniert – und das ist eine Arbeit, die nur innen stattfindet. Armin braucht frische Luft, Gras unter seinen Füßen und den Wind um die Nase. Damit ist auch sein großer Traum, einmal in einer Kfz-Werkstätte zu arbeiten, ausgeträumt. „Ich weiß jetzt, was ich nicht will.“ Es klingt erleichtert.
Auch Kevin fällt ein Stein vom Herzen, als ihm Melanie Bartos das Ergebnis mitteilt: bestanden, zweimal mit der Note 2. Er ruft sofort zu Hause an. Alle gratulieren, zur Feier backt die Mutter einen Kuchen. Die bestandene Prüfung ist ein Meilenstein für Kevin. Er ist über sich hinausgewachsen. „Als ich ihn das erste Mal mit den Kindern erlebt habe, war ich erstaunt, wie gut er das macht“, erzählt Maximilian Schmid, sein Begleiter in der KJF-Werkstätte Mitterteich. Dass Kevin dann auch noch von rund 200 Kolleginnen und Kollegen in der Werkstätte zum Werkstattrat – das ist eine Art Betriebsrat – gewählt wird, rundet dieses besondere Jahr für ihn ab. „Das ist schon eine Leistung“, sagt Maximilian Schmid anerkennend. In den nächsten Monaten gehe es darum, das Erreichte zu konsolidieren. „Wir halten den Ball jetzt erst mal flach“, so Schmid.
Apropos Ball: Samstagnachmittag, über dem Fußballplatz in Arzberg hängt der Novembernebel. Dicke Klumpen dunkelgrauer Erde kleben an den Schuhen, vermischt mit weißer Linienfarbe. Kevin trägt die Jacke des ASV Waldsassen, seines Heimatvereins, der eine Spielgemeinschaft mit dem TSV Neualbenreuth bildet. Die Initialen KB prangen auf der Brust. Seit mehr als fünf Jahren ist er als Betreuer bei allen Spielen dabei, davor stand er selbst auf dem Platz. Vereinsvorstand Günther Heß kennt Kevin schon als Kind. „Wir leben Inklusion, andere reden bloß“, sagt er und klopft Kevin auf die Schulter. Kevin hat die Getränkeflaschen befüllt, den Eiskoffer vorbereitet und hält die Wärmedecke parat. Die Spieler klatschen ihn ab. Dann setzt er sich auf die Bank, seine Füße ruhen auf dem Ersatzball, aber die Augen fliegen hinter den Brillengläsern hin und her. Wenn sich einer verletzt, sprintet er los.
Neue Chancen im Grünen
Zwei Tore und ein Assist stehen in dieser Saison auf dem Konto von Armin Preiss. Wann wird er im Job einen Treffer landen? Anfang November nimmt er an einem Motorsägenlehrgang teil, der ihn am Ende dazu befähigen wird, Schwachholz zu fällen und Liegendholz zu bearbeiten. Den Schein kann er für seine Arbeit in der KJF-Werkstätte brauchen. Gartenbau käme auch als Außenarbeit vielleicht infrage. „Da bleiben wir auf alle Fälle dran“, sagt Betreuer Tobias Fiedler.
Im Wald nahe der KJF-Außenstelle Herrmannsberg bei Wiesent dröhnt aggressiver Motorlärm. Armin hat den Gehörschutz auf die Ohren geklappt und das Visier des Schutzhelms geschlossen. Seine Sicherheitsschuhe leuchten orange auf dem mit Blättern bedeckten Waldboden, die behandschuhten Hände halten die Motorsäge mit festem Griff. Ausbilder Stefan Laumer steht neben ihm und kontrolliert den Winkel, mit dem Armin die Säge am Stamm ansetzt. Dann tritt Laumer zurück und das Schwert der Säge arbeitet sich kreischend ins Holz. Armin setzt vier saubere Übungskerben. Am Nachmittag wird er dann seinen ersten Baum fällen.
Text: Angelika Sauerer