Fachtag im B.B.W. St. Franziskus Abensberg: „Autistinnen im Berufsleben“
null Fachtag im B.B.W. St. Franziskus Abensberg: „Autistinnen im Berufsleben“
"Ja, ich wünschte, ich könnte bleiben, aber der Preis wäre meine Gesundheit!", so lautete der Titel der Fachtagung AUT*CIA im Berufsbildungswerk (B.B.W.) St. Franziskus der Katholischen Jugendfürsorge der Diözese in Abensberg, bei der die Projektverantwortlichen im Rahmen eines dort seit April 2022 angesiedelten Forschungsprojekts Forschungsergebnisse, Lösungsansätze, Maßnahmen und Materialien vorstellten.
KJF-Direktor Michael Eibl und Dr. Rolf Schmachtenberg, Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Soziales, eröffnen den Fachtag mit ihren Grußworten. Staatssekretär Dr. Schmachtenberg hob die Bedeutung des Forschungsprojektes hervor und bestärkte die Expertinnen und Experten im B.B.W. darin, sich weiter für die berufliche Teilhabe von Menschen mit einer Autismus-Spektrum-Störung stark zu machen.
Michael Eibl stellte heraus: „Das Berufsbildungswerk der KJF hier in Abensberg hat sich seit 2003 um die Ausbildung und Beschäftigung junger Menschen aus dem Autismus-Spektrum verdient gemacht. Wenn heute 169 junge Menschen mit Autismus auf eine Ausbildung vorbereitet werden oder bereits eine Ausbildung absolvieren, so ist dies der intensiven und professionellen – auch wissenschaftlich begleiteten – Arbeit der Fachkräfte hier im Haus zu verdanken. Sie haben sich in mittlerweile insgesamt fünf Autismus-Projekten immer weiter spezialisiert, Maßstäbe in der beruflichen Rehabilitation dieser Zielgruppe bundesweit gesetzt und immer mehr jungen Menschen aus dem Autismus-Spektrum die Weichen zur gelingenden beruflichen Teilhabe gestellt. Nun stehen autistische Frauen im Fokus, denn ihre berufliche Teilhabe ist besonders erschwert. Ich danke allen am Projekt Beteiligten für ihre wertvolle Arbeit und ihr Engagement.“
Im Projekt AUT*CIA unter der wissenschaftlichen Leitung des B.B.W. St. Franziskus mit Hannah Krohn, wissenschaftliche Projektleitung, und Tanja Ederer, Leitung Projektmanagement und Projektmitarbeiterin, haben folgende Projektpartner mitgearbeitet: Eva Brandstetter, Integrationsfachdienst (IFD) gGmbH Nürnberg, und Jan Tolkien Berufsförderungswerk (BFW) Hamburg GmbH. Ein Anliegen des Projektes ist es, nachhaltig Maßnahmen und Schulungen für Betroffene und Multiplikatoren bereitzustellen. Der Titel des Fachtags geht auf ein Interview, mit einer autistischen Frau aus der qualitativen Forschung zurück. In den Interviews sprachen autistische Frauen häufig von einer hohen Motivation und Fähigkeit im Beruf. Und doch entstanden körperliche und psychische Beeinträchtigungen, die zu langen Krankheitsausfällen und chronischen Erkrankungen führten, weil die Rahmenbedingungen unpassend waren.
Ein Ergebnis im Projekt AUT*CIA benennt Hannah Krohn: „Wir haben viele sehr gut qualifizierte, hoch motivierte und fähige Arbeitnehmerinnen befragt, die durch das Verdecken ihrer autismustypischen Verhaltensweisen viel Kraft aufwenden, Mobbing am Arbeitsplatz erlebten, Schwierigkeiten mit Kolleginnen und Vorgesetzten hatten und spezifische Anpassungen benötigen würden, um ihr volles Potential zeigen zu können.“ Unterstützungsleistungen gäbe es für Arbeitgeber und Arbeitnehmer zur Arbeitsplatzsicherung, so Krohn. Zum Beispiel einen Jobcoach, der am Arbeitsplatz unterstützt, den Integrationsfachdienst, der berät und ggf. Anpassungen am Arbeitsplatz anregt, Inklusionsämter, die Arbeitgeber ebenfalls beraten und ggf. Zuschüsse oder Hilfsmittel gewähren.
Im Projekt wurden fundierte und vielfältige Erkenntnisse zu Autistinnen im Berufsleben gewonnen. „Wir hoffen dadurch nachhaltig das Wissen über Autistinnen bei Arbeitgebern an wichtigen Positionen zu verbessern und auch das Bewusstsein zu Autistinnen selbst zu schärfen“, so Krohn. Das Thema sei im wissenschaftlichen Kontext bisher kaum erforscht worden. Das Interesse und der Zuspruch von Autistinnen und Eltern von autistischen Mädchen national wie international mache die Relevanz des Themas deutlich. Nach wie vor würden Autistinnen deutlich später diagnostiziert als Autisten. Eine Förderung erfolge deshalb spät oder gar nicht, was weitere Probleme begünstige. „Autistinnen sind demnach die Benachteiligten der Benachteiligten“, stellt Hannah Kohn heraus.
Autistische Frauen im Berufsleben stärker benachteiligt als autistische Männer
Autistische Frauen mit durchschnittlichen bis überdurchschnittlichen kognitiven Fähigkeiten sind im Berufsleben stärker benachteiligt als autistische Männer. Trotz ihrer teils überdurchschnittlichen Bildungsabschlüsse und hoher fachlicher Kompetenzen gibt es Faktoren, die den beruflichen Einstieg erschweren, einen häufigen Wechsel des Arbeitsplatzes mit sich bringen sowie zum vollständigen Rückzug aus dem Erwerbsleben führen können.
Prof. em. Dr. Matthias Dalferth, der das Projekt wissenschaftlich begleitet, geht der Frage nach, was bisher über Frauen mit Autismus im Arbeitsleben bekannt ist und verweist auf den in Baltimore tätigen Kinderpsychiater Leo Kanner (1896 bis 1981) und den österreichischen Kinderarzt Hans Asperger (1906 bis 1980), die vor 80 Jahren Autismus damals noch als Krankheitsbild definierten. Bei den von ihnen untersuchten Probanden handelte es sich überwiegend um Kinder und Jugendliche männlichen Geschlechts. Sie nahmen an, dass es sich bei Autismus vor allem um ein beim männlichen Geschlecht in Erscheinung tretendes Phänomen handeln müsse. Nach aktuellem Forschungsstand, so Dalferth, gibt es jedoch wesentlich mehr Mädchen und Frauen im autistischen Spektrum, als bislang angenommen und diese haben wesentlich mehr Schwierigkeiten als Männer, sich in der Arbeitswelt dauerhaft zu behaupten. Das belegen internationale Studien. Diese Ausgangssituation, erklärt Dalferth weiter, war Grundlage der Untersuchungen im Forschungsprojekt AUT*CIA: Ob und inwieweit haben Frauen mehr oder andere Hindernisse bei der Integration in die Arbeitswelt zu überwinden? Welche Voraussetzungen für eine gleichberechtigte Teilhabe müssen geschaffen werden.
Erfahrungen aus Sicht von Unternehmen Zunächst stellt Prof. Dr. Katrin Reich von der Hochschule München fest, dass die Beschäftigungssituation von Menschen im Autismus-Spektrum nicht zufriedenstellend sei. Während sich die Forschung in den vergangenen Jahren auf Erkenntnisse in Bezug auf die Fördermöglichkeiten der Employability (Arbeitsfähigkeit) von Autistinnen und Autisten konzentrierte, fehlte es an Forschungsaktivitäten, welche Erkenntnisse aus der Sicht von Unternehmen gewinnen. Und genau damit befasste sich das Projekt AUT-1A, das von 2019 bis 2021 vom B.B.W. in Abensberg in Kooperation mit zwei weiteren Berufsbildungswerken durchgeführt wurde. Prof. Dr. Katrin Reich stellt wertvolle Ergebnisse aus dem Projekt vor und bringt sie mit aktuellen Erkenntnissen in Verbindung.
„In die Nische oder durch alle Raster!?"
Wie geht es Menschen im Autismus-Spectrum in der Arbeitswelt? Dr. Imke Heuer, vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) / autSocial e.V. stellt fest, dass trotz hoher Bildungsabschlüsse, vielseitiger Interessen und Fähigkeiten und starker intrinsischer Motivation autistische Menschen oft ohne bezahlte Arbeit oder in einer prekären Beschäftigungssituation sind. Die Aut*CIA-Studie zeigt, dass dies insbesondere Frauen und weiblich gelesene Menschen (meint: aufgrund des Aussehens und Verhaltens zugeschriebene weibliche Geschlecht) betrifft, obwohl ihnen eine größere Anpassungsfähigkeit und Unauffälligkeit zugesprochen wird. In ihrem Vortrag behandelt Dr. Imke Heuer aus Sicht einer spätdiagnostizierten Autistin die Frage, warum gerade Autistinnen häufig keine geeignete „Nische“ in der Arbeitswelt finden bzw. immer wieder mit Mobbing und Ausgrenzung konfrontiert sind. Gleichzeitig geht sie auf die Stärken und Schwächen autistischer Menschen ein und wirft die Frage auf, wie diese die Basis einer gelungenen beruflichen Teilhabe sein könnten. Ihr Apell: Mut zu individuellen und unorthodoxen Lösungen!
Autistinnen im Berufsleben
Um Erfahrungen, Herausforderungen und Lösungsansätze geht es in der Podiumsdiskussion, an der ausgewiesene Expertinnen und Experten teilnehmen, darunter Dr. Carolin Mehnert, Diversity, Equity & Inclusion Lead in der Stabsstelle Diversity & Transformation sowie People Lead bei DATEV (Softwarehaus und IT-Dienstleister), Dr. Imke Heuer, Prof. Dr. Katrin Reich, Eva Brandstetter, Integrationsfachdienst Mittelfranken gGmbH Nürnberg, Jan Tolkien, Berufsförderungswerk BFW gGmbH Hamburg, und am Projekt Beteiligte.
Das zentrale Anliegen des Forschungsprojekts AUT*CIA besteht darin, Barrieren für Autistinnen im Berufsleben zu identifizieren und unterstützende Maßnahmen für eine nachhaltige Erwerbstätigkeit von Frauen mit Autismus zu entwickeln, um damit deren Lebenssituation zu verbessern und eine nachhaltige Beschäftigung zu fördern. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales fördert das Projekt AUT*CIA aus den Mitteln des Ausgleichsfonds
Übersicht zu den Autismus-Projekten im B.B.W.
- „Abklärung der Möglichkeiten zu beruflichen Förderung von Menschen mit autistischen Syndromen und Gewinnung von konkreten Empfehlungen zur Umsetzung.“ Finanzierung: BMAS, Laufzeit: 3/3003 – 7/2006
- „Teilhabe und berufliche Eingliederung von Menschen mit Autismus in den ersten Arbeitsmarkt.“, Finanzierung: BMAS, Laufzeit: 7/2006/-9/2008
- „Einsatzmöglichkeiten des Persönlichen Budgets bei der sozialen und beruflichen Inklusion von Menschen mit autistischen Syndromen anhand konkreter Beispiele aus der beruflichen Rehabilitation.“, Finanzierung: BMAS, Laufzeit: 03/2009 – 07/2011
- „AUT-1A – Die zweite Schwelle – Von der Qualifizierung zur nachhaltigen Beschäftigung junger Menschen mit hochfunktionalem Autismus auf dem Allgemeinen Arbeitsmarkt unter besonderer Berücksichtigung der Unternehmensperspektive.“, Finanzierung: BMAS, Laufzeit 07/2019 – 09/2021
Text: Christine Allgeyer