null „Wir sind keine Sonderwelt!“

Beim Aktionstag für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderung im Mai waren sechs Politikerinnen und Politiker aus der Region Straubing zu Gast in den Straubinger Werkstätten St. Josef. Alle hatten sich  bereiterklärt, einen Tag in den Werkstätten mitzuarbeiten, um sich noch eingehender  zu informieren und mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ins Gespräch zu kommen.  Nun lösen sie nach und nach ihre Versprechen ein – den Auftakt machte Silke Prößl, Kreisvorsitzende der Grünen Straubing-Bogen, mit ihrem Arbeitsbesuch in der Bruder Konrad Werkstätte Mitterfels.

In der Abteilung Wäscherei arbeitete Silke Prößl (r.) an verschiedenen Stationen. Werkstatträtin Erika Stelzl begleitete sie. (Foto: Sebastian Schmid)

Los geht‘s in der Abteilung Montage: Dort verpackt Silke Prößl Kleinteile für die Automobilindustrie und klebt die Päckchen mit einem Barcode zu. Mit ihrer offenen und zugewandten Art begeistert sie die Mitarbeiter der Abteilung: „Sie war gleich voll dabei und hat fleißig mitgeholfen“, sagt Manfred Ebenhofer. Auch Christian Wolf ist voll des Lobes für die Besucherin: „Wir haben uns gut unterhalten, über viele Themen. Sie war sehr interessiert.“ Ihn stört im Alltag, dass die meisten Leute beim Thema Behinderung nur an Rollstuhlfahrer oder Menschen mit Downsyndrom denken. „Vielen sieht man ihre Behinderung aber nicht auf den ersten Blick an“, macht er gegenüber der Kreisvorsitzenden deutlich.

 

Höchste Präzision trotz Sehbehinderung

Nach der obligatorischen Mittagspause macht sich Silke Prößl in der Wäscherei ans Werk – eine schweißtreibende Angelegenheit bei 34 Grad und dampfender Wäsche. Besonders beeindruckt zeigt sie sich von Bettina Meier, einer Mitarbeiterin mit einer starken Sehbehinderung. Sie arbeitet mit höchster Präzision an einer Faltmaschine – fast so als könnte sie einschränkungsfrei sehen. „Es hat mich riesig gefreut, dass meine Chefin mir diese Arbeit zutraut. Ich mache das sehr gerne“, erzählt Meier. Nach einer kurzen Einführung darf auch Silke Prößl ein Kleidungsstück per Maschine falten. Den größten Teil ihrer Arbeitszeit verbringt sie mit dem Sortieren der gewaschenen Wäsche, die heiß aus dem Trockner kommt. Weil während der Sommerferien viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Urlaub haben, gibt es hier genügend zu tun.

Beim Abschlussgespräch mit Werkstatträtin Erika Stelzl und Produktionsleiter Gerhard Macht zog die ehrenamtliche Politikerin ein positives Fazit ihres Arbeitseinsatzes: „Ich bin gleich freundlich aufgenommen worden. Man spürt die herzliche Atmosphäre, die hier herrscht. Alle arbeiten im Team zusammen und helfen sich gegenseitig.“ Zur Sprache kamen auch das Thema Ausgleichszahlungen: Derzeit können Unternehmen, die gar keine oder nur sehr wenige Menschen mit Behinderungen beschäftigen, ihre fälligen Ausgleichszahlungen umgehen, indem sie Aufträge an Werkstätten für Menschen mit Behinderung vergeben. Dieser Mechanismus steht politisch auf der Kippe. „Wenn diese Anrechenbarkeit wegfällt, würde uns das vor eine große Herausforderung stellen“, so Gerhard Macht. „Bei Qualität, Preis oder Lieferterminen haben wir als Werkstätte keinen Bonus – wir müssen mit allen anderen Betrieben mithalten.“

Erika Stelzl betonte den Stellenwert der der Werkstätten für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter: „Wir sind besondere Menschen, aber keine Sonderwelt, wie manche Politiker behaupten. Die Werkstätten ermöglichen Selbstbestimmung und Teilhabe am Arbeitsleben. Man muss die Arbeit, die hier geleistet wird, wertschätzen!“ Auch wenn Silke Prößl als Kreisrätin nicht selbst an höchster Ebene entscheiden kann, will sie sich für die Werkstätten einsetzen: „Ich kenne unseren Bundestagsabgeordneten sehr gut und werde mit ihm ein Telefonat führen. So einen Arbeitstag in den Werkstätten kann ich nur jedem empfehlen.“

Text: Sebastian Schmid