null „Die brauchen mich“

Kevin Blay sitzt auf dem Spielteppich und ist umlagert. Ein Bub hält ihm ein gebasteltes Flugobjekt hin. „Kannst du mir helfen?“ Geduldig löst Kevin eine verhakte Schraube. Ein Junge hängt ihm an der Schulter, ein Kind zieht an seinem Polo. Vorne auf der Brust prangt ein „Hankerl“ mit Zipfelmütze und Schlüssel in der Hand. Das Zwergenvolk aus einer Mitterteicher Sage gibt dem Kinderhaus den Namen: „Die Mitterteicher Hankerler“. Kevin Blay hat sich über das Shirt sehr gefreut. Es ist für ihn der Schlüssel zu einem neuen Kapitel im Berufsleben.

Kevin Blay unterstützt die Kinder bei ihren Entdeckungen. (Foto: Angelika Sauerer)

Auch Armin Preiß ist auf dem Sprung. Wohin, das weiß er noch nicht. Aber er ist bereit fürs kalte Wasser: eine Arbeit außerhalb der Werkstätte für behinderte Menschen (WfbM) in Mitterfels. Kfz-Mechaniker wäre sein Traum. Ob es klappt? Armin Preiß lächelt unter der roten Baseballkappe und streicht sich über den Hipster-Kinnbart. „Ich schau‘ nicht so weit vor“, sagt er. „Ich gehe lieber Schritt für Schritt.“ Einer der Schritte führt ihn zur Firma Grote, die LED-Scheinwerfer für Lkw herstellt: Produktionsluft schnuppern.

Armin Preiß schnuppert bei der Firma Grote Industries Produktionsluft. (Foto: Angelika Sauerer)

Kevin Blay aus Mitterteich und Armin Preiß aus Mitterfels sind zwei von 1600 Beschäftigten an acht Standorten der WfbM der Katholischen Jugendfürsorge (KJF) in der Diözese Regensburg. Sie haben sich auf den Weg gemacht, um etwas zu schaffen, das viel öfter gelingen sollte: mit einer Behinderung einen Platz in der Arbeitswelt zu finden. Wir werden sie begleiten.

Mehr als 300 000 Menschen arbeiten in Deutschland in rund 3000 WfbM. Etwa 75 Prozent der Klienten haben kognitive Einschränkungen, 20 Prozent psychische, der Rest rein körperliche. Das Sozialgesetzbuch, das die berufliche Rehabilitation in Paragraph 219 regelt, verpflichtet zur Inklusion. Dennoch gelingt sie je nach Zählweise nur in einem bis vier Prozent - obwohl sich die Werkstätten tatkräftig um Qualifizierung bemühen.

Auch die Arbeitsbiografien von Kevin Blay und Armin Preiß erzählen von Schwierigkeiten bei früheren Außen-Jobs. Eine Lernschwäche oder leichte geistige Behinderung sieht man ihnen nicht an, Mitmenschen reagieren mitunter unsensibel. Hänseleien, rücksichtslose Chefs, Leistungsdruck, wenig Verständnis – Erfahrungen, die schmerzen.

Auch beim Morgenkreis ist Kevin Blay dabei. (Foto: Angelika Sauerer)

Kevin Blay hat auch gute gemacht. Fast zehn Jahre arbeitete der 33-Jährige beim Bikehersteller Ghost an seinem Wohnort Waldsassen. Dann wurde die Produktion eingestellt und er kam zurück an die KJF-Werkstätte Mitterteich. Jetzt ist er vormittags im Kindergarten und nachmittags in der Werkstätte. Der Wechsel taugt ihm. Auf laute, verantwortungsvolle und unberechenbare Stunden folgt die ruhige Monotonie der Handgriffe an der CNC-Fräse.

Kevin Blay ist Handwerker durch und durch. Er besitzt einen Staplerführerschein und fährt gern mit dem Rasenmäher über das Grundstück seiner Eltern. Sozial ist er gut vernetzt, etwa beim Fußballverein ASV Waldsassen. Wenn die erste Mannschaft spielt, steht er am Rand, reicht Getränke und versorgt Verletzte mit Eispads. Auf Kevin Blay kann man sich verlassen. Genau das schätzt seine Chefin im Kindergarten. „Kevin hält mir den Rücken frei. Ich bin froh, dass er da ist“, sagt Gruppenleiterin Irmi Schmidt. „Die brauchen mich“, sagt Kevin Blay – stolz, weil es auf ihn persönlich ankommt. Er arbeitet hart, um den Zertifikatslehrgang „Assistent in der Kindertagesstätte“ zu schaffen.

Armin Preiß nimmt auch an Besprechungen und Schulungen teil. (Foto: Angelika Sauerer)

Bei Grote Industries in Bogen verfolgt Armin Preiß mit seiner Gruppe aus der KJF-Werkstätte Mitterfels interessiert eine Führung durch die Produktion. Das Cap hat der 22-Jährige gegen ein Haarnetz getauscht und einen weißen Schutzmantel übergeworfen. „Ich finde es gut, dass wir uns das live anschauen können“, sagt er. Denn danach weiß er, dass es nichts für ihn ist: zu viel Fließband, zu wenig Abwechslung.

Armin Preiß stammt aus Loitzendorf, besuchte eine inklusive Schule in Straubing, war dann auf dem Bauhof und im Brandschutz beschäftigt. Jetzt kümmert er sich in der KJF-Werkstätte um Hausmeisterarbeiten, vom Rasenmähen über Mülltrennung und Blumen gießen bis hin zum Wechseln von Glühbirnen oder Renovieren eines Büros. Außerdem absolviert er den Berufsvorbereitungskurs Außenarbeit. Er möchte draußen einen Job finden – aber noch mehr ein Team, das ihn nimmt, wie er ist. „Ich brauche manchmal ein bisschen länger“, sagt er.

In der Freizeit ist er schon Teil eines Teams, Armin Preiß spielt beim TSV Sattelpeilnstein als Stürmer in der zweiten Mannschaft. Demnächst beginnt er ein Praktikum bei einer Firma, die Wintergärten baut. Vielleicht wird das ein Treffer.

Text: Angelika Sauerer