null Theorie und Praxis anschaulich kombiniert

Rund 50 Teilnehmerinnen und Teilnehmer verschiedener Professionen waren zum ICF-Fachtag ins Haus den Guten Hirten gekommen – darunter Leitungen von Schulen, Heilpädagogischen Tagesstätten, Frühförderstellen und Fachdiensten. Gemeinsam beschäftigten sie sich mit der Umsetzung der International Classification of Functioning, Disability and Health (ICF). Diese Klassifizierung, die von der Weltgesundheitsorganisation ausgearbeitet wurde, soll Fachkräften dabei helfen, Barrieren zu identifizieren und Behinderungsfaktoren zu definieren. „Die Umsetzung des ICF ist in der Praxis ein großer Paradigmenwechsel: Das Konzept beruht darauf, dass eine Behinderung ein soziales Konstrukt ist, das erst in der Interaktion mit der Umwelt entsteht“, sagt Dr. Alexander Gotthardt, Organisator des Fachtags und stellvertretender Abteilungsleiter Teilhabeleistungen Kinder und Jugendliche in der KJF.

 

Dr. Alexander Gotthardt, (r.) Organisator des Fachtags und stellvertretender Abteilungsleiter in der KJF, mit den Referentinnen und Referenten (Foto: Sebastian Schmid)

Josef Bauer, Vorstandsmitglied der LAG Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie (CBP) Bayern, gab den Teilnehmerinnen und Teilnehmern in seinem Vortrag einen Überblick zum komplexen Gesetzgebungsprozess für die SGB XIII-Reform. Im Juli 2024 soll es einen Referentenentwurf der Reform geben. Die Umsetzung ist bis Januar 2028 vorgesehen. Neben Art und Umfang der Leistungen, auf die Menschen mit Behinderung Anspruch haben, geht es unter anderem darum, wie Zuständigkeiten und Kosten zwischen den Bezirken und den Jugendämtern aufgeteilt werden oder in welchem Alter der Übergang in die Eingliederungshilfe erfolgen soll. Bei einer Landesöffnungsklausel, die den Bundesländern mehr Spielraum bei der Ausgestaltung geben würde, sieht Josef Bauer Fortschritte „in die richtige Richtung“. Er stellte auch das Instrument Bedarfsermittlung Bayern (BIBay CY), das sich am ICF orientiert.

 

Ein Instrument gegen systematische Diskriminierung

Teresa Landwehrmann, Doktorandin am Lehrstuhl für Entwicklungspsychologie an der LMU München und Referentin der Arbeitsstelle Frühförderung Bayern e.V., ging auf die menschenrechtliche Dimension bei der Umsetzung der ICF ein: Weil eine Beeinträchtigung kein Grund für eine Einschränkung der Menschenrechte sein darf, hat jeder Mensch mit Behinderung das Recht auf einen Nachteilsausgleich. „Der ICF soll systematische Diskriminierung im Gesundheitsbereich und bei medizinischen Maßnahmen verhindern“, erklärte Teresa Landwehrmann. Auf Grundlage des ICF entstehen auch die Zielentwicklungsplanungen für die therapeutischen Maßnahmen, diese müssen sowohl mit den Eltern als auch mit den jungen Menschen abgesprochen werden und sollen alle Domänen des bio-psychosozialen Modells berücksichtigen.

Im Anschluss an die Vorträge vertieften sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in konkrete Fallbeispiele, die sie in Workshops diskutierten: Christina Fischer, Leiterin der Heilpädagogischen Tagesstätte Aschau, und Cornelia Fuchshofer, Fachdienstleitung am HPZ Rupolding, stellten dar, wie sie mit ihren Klientinnen und Klienten und deren Eltern Entwicklungsziele anhand des ICF ausarbeiten. Andreas Schultz, Tagesstättenleiter am HPZ Rupolding, erklärte, wie die ICF in seiner Einrichtung umgesetzt wird. Teresa Landwehrmann stellte die Anwendung der ICF in der Interdisziplinären Frühförderung vor. „Alle Vorträge waren sehr informativ und fachlich hervorragend ausgearbeitet. In den Workshops gab es einen sehr guten Transfer – von der ethisch-theoretischen Ebene, hin zur Anwendung in der Praxis“, so das Fazit von Dr. Alexander Gotthardt.

Text: Sebastian Schmid