null Meditativer Impuls Oktober 2022

Weite spüren

Die großen Themen der vergangenen Jahre und Monate belasten uns: Klimaveränderung, Pandemie, Kirchenpolitik, Krieg in der Ukraine, Energiekrise.

Das spüren wir auch im Umgang mit den Kindern, Jugendlichen, Familien und Menschen mit Behinderung, die wir in unseren sozial-caritativen Handlungsfeldern begleiten. Bewegungsmöglichkeiten werden eingeschränkt. Die Preise steigen rasant. Wir müssen die Gürtel enger schnallen. Grenzen und Endlichkeiten werden überdeutlich. Dieses beklemmende Gefühl, das das Immunsystem der Seele stört, kann auch Angst auslösen. Der Begriff „Angst“ hat seine Wurzeln seit dem 8. Jahrhundert im indogermanischen „anghu“ - beengend.

„Da mir eng war, hast du mir’s weit gemacht!“ (Ps 4,2) (Foto: Georg Deisenrieder)

Mitten in dieser Enge suchen wir nach Wegen, die wieder Weite spüren lassen. Wir sehnen uns nach Licht, das das Dunkel durchbricht, das alles löst, verwandelt und Frieden schenkt. Es gibt einen Vers in der Heiligen Schrift. Er klingt in einer kurzen Übersetzung so:


„Da mir eng war, hast du mir’s weit gemacht!“ (Ps 4,2)


Da ist von einer befreienden Glaubenserfahrung in der Vergangenheit die Rede. Wir können uns diese Worte zu eigen machen und uns fragen: Wo haben wir solche Erfahrungen machen dürfen? In dieser Rückschau werden Kräfte mobilisiert, mit denen wir vertrauensvoll in die Zukunft gehen können. Das ist die Einladung an uns: Gönnen wir uns immer wieder Zeiten, genauer hinzuschauen und wahrzunehmen, wie die Wege Gottes sind. Sie führen durch das Dunkel hindurch, aus der Enge heraus, ans Licht, in die Weite. Bestärkende Mutmachworte wie dieser Psalmvers können nicht nur für uns persönlich, sondern auch für unsere Arbeit, in der wir andere Menschen begleiten, eine große Bereicherung sein. Sie fördern die Resilienz, festigen die Liebe (Caritas), die sich auf echte Begegnungen mit anderen einlässt, Enge aushält und aus der die Weite erwächst.
Ida-Anna Braun, ehemalige Referentin bei der Frauenseelsorge im Bistum Augsburg und Exerzitienbegleiterin, lädt in der Erfahrung der Enge zu einer Übung für unsere Sinne ein und kommt damit ins Gebet:


Wenn es manchmal eng wird


Wenn es manchmal eng wird im Leben,
im Alltäglichen, im Beziehungsgeflecht,
im Beruf, in der Familie, in mir.
Wenn mir sprichwörtlich danach ist,
„das Weite zu suchen“,
tut es gut an einen Ort in der Natur zu gehen,
und dann:


einfach nur dasitzen


ins Weite schauen
den Wind fühlen
die Luft riechen
den Atem spüren
die Stille hören


sich in die Ruhe fallen lassen
die Zeit vergessen


in mir sein
und bei dir
mein Gott


denn DU führst mich hinaus ins Weite               

(© mit freundlicher Genehmigung von Ida-Anna Braun)


Foto und Gedanken: Georg Deisenrieder