null Meditativer Impuls Mai 2022

„Was gibt’s denn da zu lachen?“

Wir befinden uns im Marienmonat Mai. Ich suche in der Fotosammlung, von der Byzantinistik bis zur Gegenwartskunst, nach einem passenden Marienbild: Welches Bild sagt mir zu? Heute? Jetzt? Maria Himmelskönigin, Schutzmantelmadonna, Knotenlöserin, eine zeitgenössische Pieta-Darstellung, Maria mit dem Verkündigungsengel? Irgendwie spricht mich in diesen Tagen diese Vogelmadonna aus Böhmen an: Sie ist zu finden in der Nationalgalerie im Agneskloster in Prag.

Madonna von Dolní Kalná, Böhmen 1340-1350, Nationalgalerie im Kloster der Hl. Agnes, Prag, (Foto: Georg Deisenrieder)

Mit elegantem Hüftschwung, steht die Mutter da. Mit der linken Hand hält sie ihr Kind. Ihre rechte ist inzwischen frei. Vermutlich trug sie ursprünglich ein Zepter. Es ist verschwunden. Diese Frau ist auch ohne Herrschaftsinsignien stark!

Still lacht Maria in sich hinein. Warum eigentlich? Antwort finden wir, wenn wir den kleinen Jesus betrachten. Mit seinen roten Pausbacken ist er der Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten. Man spürt es: Die beiden gehören einfach zusammen. Wie groß ist die Freude des Jungen über den großen Vogel, dessen Federkleid er mit seiner Rechten streichelt.
 
Diese Skulptur entstand im 14. Jahrhundert, in der Zeit der großen Hungersnöte und Seuchen aller Art. Gerade in die Wirren der damaligen Welt hinein schuf der Künstler dieses zur Heiterkeit einladende Werk. Was gibt’s dann da zu lachen? Die Freude kommt mit dem Kind. Es relativiert die Ängste und die Sorgen der Menschen und bringt sie in neue Zusammenhänge. Der kleine Jesus wird später einmal sagen:
 
„Seht die Vögel des Himmels an:
Sie säen nicht, sie ernten nicht und sammeln keine Vorräte in den Scheunen,
euer himmlischer Vater ernährt sie. Seid ihr nicht viel mehr wert als sie?
Wer von euch kann mit all seiner Sorge sein Leben auch nur um eine kleine Spanne verlängern?“(Mt 6,26-27)

Nicht, dass wir uns keine Sorgen machen sollten um die großen Aufgaben dieser Welt. Zurzeit drängen sich ganz neue Fragen auf: Wer wird angesichts des Ukraine-Krieges die Gas-Vorräte sichern? Wer erntet das Korn? Wie kommt Getreide in die Scheunen der afrikanischen Länder? Und überhaupt: Wie schafft man Frieden und Gerechtigkeit? Das Kind weist mit dem Vogel in der Hand auf den Schöpfer und Geber allen Lebens, auf den himmlischen Vater, hin. „Ganz schön naiv“, werden wohl einige angesichts der großen Herausforderungen der Menschheit denken. Mag durchaus stimmen, wenn man „Naivität“ in Zusammenhang bringt mit „Blauäugigkeit, Einfältigkeit und Leichtgläubigkeit.“ Das ist aber nicht gemeint. Unser Bild weist auf eine andere Naivität hin: Sie hat zu tun mit Natürlichkeit, Ursprünglichkeit, Intuition, einer gehörigen Portion Glauben und Vertrauen - und Leichtigkeit, weil mitten in der Schwere der Zeit Gott ins Spiel kommt. Wenn das kein Grund zum Lachen ist!

Text: Georg Deisenrieder