„Schulvermeidung geht uns alle an“
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Etwa fünf bis zehn Prozent aller Schülerinnen und Schüler in der Region Regensburg sind von Schulvermeidung betroffen. Monate- manchmal sogar jahrelang bleiben sie dem Unterricht fern. Meist stecken Depressionen, Versagensängste oder fehlender Rückhalt in den Familien hinter ihrem Verhalten. Seit zehn Jahren versucht die Maßnahme „Ich schaff das“, diese Jugendlichen aufzufangen und ihnen wieder eine Perspektive zu geben – zurück in die Schule. Mit einer kleinen Feierstunde in der Lernwerkstatt der Katholischen Jugendfürsorge der Diözese Regensburg e. V. würdigten alle Beteiligten dieses Jubiläum.
Abteilungsleiter Johannes Magin begrüßte die Vertreter der Projektpartner der Maßnahme: Dr. Stephanie Kandsperger, Leitende Oberärztin der Kinder- und Jugendpsychiatrie Regensburg, Stefan Fricker, Leitender Regierungsschuldirektor der Regierung der Oberpfalz, Dr. Volker Sgolik, Jugendamtsleiter der Stadt Regensburg, Dieter Albrecht, Jugendamtsleiter des Landkreises Regensburg, Detlev Rausch, stellvertretender Leiter der Jakob-Muth-Schule, Herbert Knapp, Leiter von „Ich schaff das“, sowie Schulamtsdirektor Klaus Dierl.
Einrichtungsleiter Vladislav Perkov stellte kurz die Lernwerkstatt vor, an der „Ich schaff das“ angesiedelt ist: „Als wir vor 26 Jahren gestartet sind, gab es zwei Bereiche für Jugendliche, die Unterstützung in ihrer Ausbildung benötigten. Inzwischen haben wir ein Netz gespannt, um jeden Jugendlichen aufzufangen, egal welche Probleme er hat. Dabei können sie in die nächsthöhere Maßnahme wechseln, wenn sie Fortschritte erzielen, oder sich direkt auf den ersten Arbeitsmarkt bewerben.“ Abschließend bedankte sich Perkov bei allen Partnern und Kostenträgern von „Ich schaff das“.
Perspektiven eröffnen und Selbstvertrauen fördern
Heilpädagogin Cosima Andresen und Sozialpädagogin Daniela Fendl erläuterten, wie „Ich schaff das“ aufgebaut ist: „Wir fördern das Selbstvertrauen, die Selbstwirksamkeit und die Lebenszuversicht.“ Ziel ist es, dadurch Jugendlichen, die monate- oder teilweise dem Unterricht ferngeblieben sind, eine Perspektive zurück in die Schule zu eröffnen. Damit einher geht eine Steigerung der Leistungsmotivation und gegebenenfalls eine Stabilisierung des familiären Umfelds. Dies geschieht meist in kleinen Schritten und beginnt damit, dass sich die Jugendlichen auf die Maßnahme einlassen. „Viele haben sich völlig zurückgezogen und haben keinen Zugang zum gesellschaftlichen Leben mehr“, berichtete Daniela Fendl. „Deshalb helfen wir ihnen auch bei der Freizeitplanung und der Entwicklung sozialer Kompetenzen.“ So stehen neben den Fächern Deutsch, Mathematik, Wirtschaft und Beruf oder Geschichte/Politik/Geographie auch ein gemeinsames Frühstück oder eine Befindlichkeitsrunde auf dem Stundenplan. „So wollen wir den Jugendlichen zeigen, dass es nichts Schlimmes ist, in die Schule zu gehen“, erklärte Daniela Fendl.
Dr. Stephanie Kandsperger berichtete von ihren Erfahrungen mit Schulvermeidern aus medizinisch-psychologischer Sicht: „Schulvermeidung ist ein Symptom, oftmals tritt es als Reaktion auf Überforderungen im schulischen oder familiären Hintergrund auf. Es erhöht das Risiko einer lebenslangen sozial wie ökonomisch schwierigen Lebensgestaltung.“ In der Regensburger Schulvermeider-Ambulanz, die mit „Ich schaff das“ zusammenarbeitet, steigen die Fallzahlen seit Jahren, wobei mehr Jugendliche als Kinder und mehr Buben als Mädchen betroffen sind. „Manche haben sehr lange Krankschreibungen und finden dann nicht wieder in den schulischen Alltag zurück, dabei spielt auch Post-Covid eine große Rolle“, so Dr. Kandsperger. Zwar seien alle Schulformen betroffen, der Schwerpunkt liege allerdings bei den Mittel- und Förderschulen.
„Wir können es uns nicht leisten, diese Jugendlichen zu verlieren“
Stefan Fricker, verwies in seinem Statement auf den angespannten Arbeitsmarkt im pädagogischen Bereich, und mahnte zugleich: „Wir können es uns nicht leisten, diese Jugendlichen zu verlieren. Sie sollen am Leben in der demokratischen Gesellschaft teilnehmen.“ Andernfalls laufe man Gefahr, dass sie einige in „Denkrichtungen entwickeln, die für unsere Gesellschaft nicht förderlich sind“. Um in diesem Bereich Erfolg zu haben ¬– die Jugendlichen zum Erfüllen ihrer Schulpflicht zu bewegen – brauche man einen langen Atem und pädagogische Beharrlichkeit. Fricker fügte mit Blick auf die Zukunft hinzu: „Sie dürfen auch in den nächsten zehn Jahren auf die Unterstützung der Regierung der Oberpfalz bauen.“
Dr. Volker Sgolik blickte auf die Anfänge von „Ich schaff das“ zurück: „Als wir vor zehn Jahren gefragt wurden, ob wir uns an ,Ich schaff das‘ beteiligen wollen, gab es durchaus Erstaunen: Unterricht für Schulvermeider, wie sollte das funktionieren?“ Doch man habe schnell erkannt, dass ein ausgereiftes Konzept hinter der Maßnahme steckt. „Es war dringend notwendig, in diesem Bereich zu handeln und eine gute Idee, sich um diese Jugendlichen zu kümmern“, sagte er. „Es wäre falsch, ihnen eine Null-Bock-Mentalität zu unterstellen, stattdessen werden sie hier an die Schule herangeführt und die hohe Erfolgsquote ist ein Zeichen, dass es funktioniert.“ Sgolik dankte allen Beteiligten für ihren Einsatz und die gute Zusammenarbeit: „Es ist toll, wenn wir den jungen Menschen wieder eine Chance eröffnen können, auf eine Ausbildung, einen Beruf und ein Einkommen.“
Text: Sebastian Schmid